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Definition von "spielen"

Allgemeine Spiele-Themen
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Ingo Althöfer
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Definition von "spielen"

Beitragvon Ingo Althöfer » 28. Dezember 2010, 09:19

Das Landesgericht Magdeburg hat in einem
Urteil eine Definition von "spielen" gegeben:

Spielen bedeute einzig und allein,
sich zum Vergnügen, Zeitvertreib und
aus Freude an der Sache selbst auf
irgendeine Weise zu betätigen.
(Aktenzeichen: 10 O 551/10)


Ein etwas längeres Zitat aus dem Urteil:
" Auch Erwachsene und Haustiere spielen. In der
Vergangenheit und auch heute spielen auch und
gerade Erwachsene Kartenspiele (Poker, Skat etc.)
aber auch mit elektrischen Modelleisenbahnen.
Seit einigen Jahren gibt es neue Medien, wie etwa
Computerspiele. Auch Feuerwerkskörper werden über
Jahrzehnte hinweg sowohl von Kindern und Jugendlichen
als auch von Erwachsenen geschätzt. Spielen bedeutet
einzig und allein sich zum Vergnügen, Zeitvertreib
und allein aus Freude an der Sache selbst auf
irgendeine Weise zu betätigen."

Wollen wir dem Richter einen besonders weiten
Horizont attestieren?

Ingo.

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janove
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Re: Definition von "spielen"

Beitragvon janove » 28. Dezember 2010, 10:06

Hallo Ingo,

interessant wäre doch zunächst einmal, in welchem Zusammenhang sich ein Gericht mit der Definition von "spielen" beschäftigt".

vorurteilsfreie Grüße

janove


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janove
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Re: Definition von "spielen"

Beitragvon janove » 28. Dezember 2010, 10:16

Danke, hab es auch gerade gefunden :-)

hatte mich erst vertippt

janove

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Gead
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Re: Definition von "spielen"

Beitragvon Gead » 28. Dezember 2010, 12:05

Hallo,

so ein Urteil macht mich sehr wütend. Und traurig.

Aus eigener (schmerzlicher) Erfahrung weiß ich, wie willkürlich "das Recht" - vor Gericht - mitunter ausgelegt werden kann. Und wie selbstherrlich Richter sein können. Anmaßend einfältig und wie hier mit ganz "besonders weitem Horizont" ...

Feuerwerkskörper als Spielzeug oder Spielware zu bezeichnen ist schlicht und einfach pervers und widerspricht allen aufgedruckten Warnhinweisen und Gefahrenklassen. Eigentlich ...

Im Fußball (kein Spiel sondern Sport) wird seit Jahren der Videobeweis bei kritischen Entscheidungen gefordert; im Recht (kein Spiel sondern Spott) würde meist ein bisschen gesunder Menschenverstand ausreichen. Hier wird leider wieder einmal deutlich wie schlecht es um den Wert und das Ansehen des Spiels (in der Rechtsprechung) bestellt ist: Spielen ist nach deren Auffassung eine (niedere) Betätigung, die auf "irgendeine Weise" und nur zum "Vergnügen" und "Zeitvertreib" da ist.

Mit anderen Worten: Indem das kindliche Spielen mit "Volksbelustigung" und dem "Töten der Langeweile" gleichgesetzt wird, lässt zumindest dieses Urteil tief in die Kindheit des Richters (und darüber hinaus in die Menschheitsgeschichte) blicken. Indem er hier das Spielen und (salopp gesagt) das "Zündeln" in einen Topf wirft, öffnet er mit seiner Interpretation von "Spielen" weiteren (weitaus grausameren) "Spielarten" Tür und Tor: Ist die Folter (von Mensch und Tier) damit auch ein Spiel?

Mir ist durchaus bewusst, dass das eine gewagte Unterstellung ist; aber wenn hier vorgegeben wird, dass "Vergnügen" und "Zeitvertreib" die ausschließlichen Kriterien sind, um das Spielen zu definieren, liegt diese Fragestellung m. E. nahe! Außerdem spielte, die geschichtlichen Wurzeln des Spiels betrachtet, das tatsächliche Überleben (um jeden Preis) auch eine wichtige Rolle. Könnte darin vielleicht eine Erklärung für ein derartiges Spiel- und Rechtsempfinden begründet sein?

Auf das Spielwarengeschäft, dessen Besitzer (und die Spielwarenindustrie allgemein) wirft dieser Rechtsfall allerdings auch kein gutes Licht. Denn man braucht sich nicht zu wundern, dass neben dem Plastikpanzer und anderem Kriegsspielzeug eben auch Feuerwerkskörper als Spielzeug "durchgehen".

Noch viel zu tun also für alle, die sich das Kulturgut Spiel auf die Fahnen geschrieben haben und denen das Spielen nicht bloßer Zeitvertreib ist ...

Schwingende Grüße
Gead

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Duchamp

Bescheuert

Beitragvon Duchamp » 28. Dezember 2010, 13:26

Ingo Althöfer schrieb:
>
Spielen bedeutet
> einzig und allein sich zum Vergnügen, Zeitvertreib
> und allein aus Freude an der Sache selbst auf
> irgendeine Weise zu betätigen."

Da fallen mir folgende spielerische Aktivitäten ein:
Modellschiffe bauen, Schlittenfahren, Sex, ins Kino gehen, Bücher lesen, Briefmarken sammeln, Tontaubenschießen, Tanzen, ein Instrument spielen, im Internet surfen, ...

Alles, was kein Ziel außer der Freude an der Sache selbst hat, soll "Spielen" sein? Bescheuerter geht es wohl kaum.

Dass man an alles mögliche "spielerisch" herangeht, ist allerdings wahr und soll auch so bleiben.

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Helmut
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Re: Definition von "spielen"

Beitragvon Helmut » 28. Dezember 2010, 13:39

Eine Sensation: "auch Erwachsene spielen"! Wer hätte das gedacht? Das geht in genau die gleiche Richtung, wie man vor Weihnachten selbst in Rundfunk-Redaktion-Internetseiten lesen konnte: "Weihnachtszeit-Spielezeit".
Von Redakteuren hätte ich nämlich ein breiteren Erkenntnis-Horizont erwartet. Und dieser Richter hat wohl außer Mädn und Monopoly nie was zu Hause gespielt, ach ja ein Kartenspiel wird er auch noch zu Hause haben.

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gimli043
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Re: Definition von "spielen"

Beitragvon gimli043 » 28. Dezember 2010, 14:18

der Link funktioniert bei mir nicht. Geht das allen so? Dann wäre es nett, wenn jemand kurz schildern könnte worum es ging.

Danke vorab,

Rene'

P.S. Die Definition finde auch ich krank!
There is freedom! Just behind the fences we build ourselves.

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Chris
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Re: Bescheuert

Beitragvon Chris » 28. Dezember 2010, 14:37

Ich denke, das ist ein kleinen logischen Fehler.

Der Richter sagt: Wenn man spielt, dann betätigt man sich zum Zeitvertreib ...

Du folgerst daraus: Betätigt man sich zum Zeitvertreib... dann spielt man.

Dieser Umkehrschluss ist nicht zulässig.


Hat der Richter das allerdings tatsächlich auch umgekehrt gemeint, ist das wirklich Unfug. :)

Ohje, ich habe gerade das Urteil gelesen. Leider hat der Richter diesen Fehler gemacht. Tja, dann wird's in der Spielwarenabteilung wirklich bald spannend. Ich freue mich schon auf die Rotlichtabteilung. ;)


Grüße,

Chris

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citizenofatlantis
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Re: Definition von "spielen"

Beitragvon citizenofatlantis » 28. Dezember 2010, 16:44

Da halte ich es doch lieber mit der Definition von Johan Huizinga, welche Nicola Balkenhol in Spielbox 6/10 anlässlich der "Frag"-Rezi zitiert hat:
"Spiel ist eine freiwillige Handlung oder Beschäftigung, die innerhalb festgesetzter Grenzen von Zeit und Raum nach freiwillig angenommenen, aber unbedingt bindenden Regeln verrichtet wird, ihr Ziel in sich selber hat und begleitet wird von einem Gefühl der Spannung und Freude und einem Bewusstsein des "Andersseins" als das "gewöhnliche Leben".

Das Feuerwerk punktet beim "Ziel in sich selber" und der "Spannung und Freude", geht dann jedoch beim "Anderssein", dem "Einhalten von Regeln" ( Keine Feuerwerkskörper in Menschenmassen werfen, etc. ) und dem kleinen Nebenaspekt der Gefahr von Hörstürzen, Brandverletzungen und Dachstuhlbränden unter...Und NEIN, ich bin kein millitanter Feuerwerksgegner!

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gimli043
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Re: Definition von "spielen"

Beitragvon gimli043 » 29. Dezember 2010, 06:14

der Link hat jetzt funktioniert.
There is freedom! Just behind the fences we build ourselves.

Thygra
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Feuerwerkskörper = Spielzeug?

Beitragvon Thygra » 4. Januar 2011, 18:41

> Feuerwerkskörper als Spielzeug oder Spielware zu bezeichnen
> ist schlicht und einfach pervers und widerspricht allen
> aufgedruckten Warnhinweisen und Gefahrenklassen.

Die Definition des Richters ist sicher diskussionswürdig. Aber ich sehe nicht so ganz, weshalb es "pervers" sein sollte, Feuerwerkskörper als Spielzeug zu bezeichnen. Ein Feuerwerkskörper ist aus meiner Sicht nicht weit von der Pistole entfernt, die man zu Karneval als Sheriff oder Cowboy trägt. Und diese Pistole ist wohl unbestritten "Spielzeug".

Und mit Warnhinweisen hat eine solche Einstufung auch nichts zu tun. Brettspiele haben auch Warnhinweise, meist wegen Erstickungsgefahr von Kleinkindern.


> Mir ist durchaus bewusst, dass das eine gewagte Unterstellung
> ist; aber wenn hier vorgegeben wird, dass "Vergnügen" und
> "Zeitvertreib" die ausschließlichen Kriterien sind, um das
> Spielen zu definieren, liegt diese Fragestellung m. E. nahe!

Wo steht im Urteil, dass diese Kriterien "ausschließlich" sind?


> Auf das Spielwarengeschäft, dessen Besitzer (und die
> Spielwarenindustrie allgemein) wirft dieser Rechtsfall
> allerdings auch kein gutes Licht.

Warum wirft das ein schlechtes Licht auf das Spielwarengeschäft? Den Verkauf von Feuerwerkskörpern finde ich nicht verwerflich. Schlimm ist nur, dass es Erwachsene gibt, die das Zeug in Kinderhände geben. Das ist das eigentliche Problem aus meiner Sicht.


> Denn man braucht sich nicht
> zu wundern, dass neben dem Plastikpanzer und anderem
> Kriegsspielzeug eben auch Feuerwerkskörper als Spielzeug
> "durchgehen".

Sorry, aber ich kann nicht nachvollziehen, was Feuerwerkskörper mit Panzern zu tun haben sollen. Da liegen für mich noch mal ein paar Welten dazwischen. Was ist schlimmer, im Spiel auf jemanden zu schießen oder für eine Feier ein wenig Krach zu machen und den Himmel zu erleuchten?


Um Missverständnisse zu vermeiden: Ich finde die ganze Ballerei zu Silvester absolut überflüssig und nehme daran schon seit ca. 20 Jahren nicht mehr aktiv teil. Aber ich weiß auch noch, wie toll ich das fand, als ich noch 15 Jahre alt war. Muss ich mich deshalb schlecht fühlen? Nein.

Solange der Verkauf solcher Knaller erlaubt ist, sollte man nicht den Verkäufer zum Bösewicht erklären. Sonst muss man auch alle Händler verteufeln, die Zigaretten und Alkohol verkaufen ...
André Zottmann (geb. Bronswijk)
Thygra Spiele
(u. a. für Pegasus Spiele tätig)

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Ernst-Jürgen Ridder
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Re: Definition von "spielen"

Beitragvon Ernst-Jürgen Ridder » 4. Januar 2011, 19:11

Hallo,

diese ganze Diskussion beruht auf einer bloßen Pressemitteilung, nicht auf einem Urteilstext. Nicht einmal ein Mietrechtler kann aus deren Text sicher ableiten, was denn nun die genaue (!) maßgebliche Fragestellung des konkreten Rechtsstreits war, die das Gericht zu beantworten hatte.

Auch der Pressesprecher eines Gerichts, üblicherweise selbst Richter, aber selten derjenige, der das Urteil geschrieben hat, ist nicht davor gefeit, bei der von ihm formulierten Pressemitteilung ungenau zusammenzufassen. Für juristische Feinheiten interessiert sich die Presse zudem gewöhnlich nicht; für die interessierte Allgemeinheit muss der zu schreibende Artikel schon etwas "griffiger" -und damit meist plakativer und ungenauer- sein.

Bedenken muss man auch, dass ein Richter in der Regel nur das entscheidet, was aus seiner Sicht zur Entscheidung des Falles erforderlich ist. Selbst wenn dann etwa eine Definition dafür geliefert wird, was "Spiel" sei, heißt das nicht, dass das Gericht damit allgemeingültiger hat definieren wollen, als es unter diesem Gesichtspunkt geboten war.

Die hier betriebene Urteilsschelte wird deshalb womöglich dem wirklichen Urteil nicht gerecht.

Spielerische Grüße
Ernst-Jürgen
Spielerische Grüße
Ernst-Jürgen

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Gead
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Re: Feuerwerkskörper = Spielzeug?

Beitragvon Gead » 5. Januar 2011, 13:11

Hallo André,

gut, dass sich wenigstens noch ein paar "berufen" fühlen, sich zu diesem Thema zu äußern (siehe auch den Beitrag von Ernst-Jürgen Ridder weiter unten). Und Danke für deine Reaktion.

Ich hatte - nach meinem ersten Beitrag - schon überlegt ein paar Passagen zu ergänzen und genauer zu erläutern. Besser ist es aber natürlich, wenn man von einem anderen Diskussionsteilnehmer eine (kritische) Rückmeldung bekommt. Ansonsten sind bzw. wären Diskussionen ja nicht der weiteren Rede wert.

Doch nun zu deinen Anmerkungen:

Als "pervers" verstehe (und bezeichne) ich in diesem Zusammenhang Dinge, die eben nicht mehr ihrem vorgegebenen Zweck dienen. Demnach ist ein Feuerwerkskörper für mich kein Spielzeug. Das Gleiche gilt für eine Pistole (für Kinder!). Von pervers im Sinne von "entartet" oder "krankhaft" möchte ich hier aber nicht sprechen, denn das führt assoziativ in die falsche Richtung. "Verantwortungslos" ist sicher unmissverständlicher und trifft es vielleicht besser.

Doch eine "Spielzeug"-Pistole ist für mich leider eine beschönigende Bezeichnung für Etwas, das KEIN Spielzeug im idealen Sinne ist. Hierdurch rechtfertigt sich eine (vormals und in ihren Wurzeln kriegerische) Gesellschaft m. E. selbst. Es ist zwar schon so, dass man mit einer so genannten Spielzeug-Pistole niemanden ernsthaft verletzen kann und die (mitunter grausame) Realität damit "nur" nachgespielt wird. Aber, die Übergänge sind fließend: von der Pistole zu Fasching, zu Gotcha mit Farbpatronen, zum Luftgewehr im Schützenverein. Von Spiel zu Sport - zu Amoklauf. Das Eine muss nicht zwangsläufig das Andere ergeben - aber es kann!

Und sage bitte keiner, er habe die Psyche der Kinder, die (kindliche) Seele vollständig "durchdrungen" und wisse ganz genau, was aus unbekümmertem kindlichen Spiel und aufkommendem jugendlichen Ehrgeiz so alles Gutes wie Schlechtes entstehen kann?! Pervers bzw. verantwortungslos ist die Gedankenlosigkeit, mit der Eltern ihren Kindern kaufen was alle kaufen, sie spielen lassen mit dem alle anderen auch spielen; die nicht hinterfragen, wie Gewalt entsteht, wo sie ihren Anfang hat. Da gebe ich dir Recht, wenn du schreibst, und es "schlimm" findest, "dass es Erwachsene gibt, die das Zeug in Kinderhände geben."

Das Subtile wird leider, leider, leider von vielen unterschätzt (sic!). Eine Spielzeug-Pistole ist eine P I S T O L E - nicht mehr und nicht weniger. (Platzpatronen für eine "echte" Handfeuerwaffe sind auch kein Spielzeug, sie sind nur nicht tödlich. Es kann aber derselbe Schrecken damit verbreitet werden!)

Zu meiner Folter-These im ersten Beitrag möchte ich noch etwas Erklärendes hinzufügen:

Spielen ist aktive Lebensschule; ist die Vorbereitung auf den Ernst des Lebens. Was bereitet Vergnügen und was dient nur dem Zeitvertreib? Damals im Colosseum: Auf den Rängen römische Bürger - vergnügt und bestens unterhalten. In der Arena - Menschen, die um ihr Leben kämpfen. Diese Wettkämpfe waren "passive Folter". Doch sie wurden auch "Spiel" genannt und damit ihre menschenverachtenden Motive verharmlost. Wenn Folter heute teil unserer (westlichen) Lebenswirklichkeit wäre (!), müssten in der selben Logik, in der im Kinderzimmer Spielzeug-Pistolen erlaubt sind auch Folterwerkzeuge erlaubt sein. Also zum Beispiel eine Spielzeug-Streckbank. Oder Spielzeug-Daumenschrauben. Oder ein Spielzeug-Pfahl. Oder ...

Spielen ist bzw. soll noch mehr Vergnügen sein und weniger Ernst. OK! Aber der Ernst ist auch in der Kindererziehung sehr wichtig. Vielleicht sogar noch wichtiger als das Vergnügen. Und er sollte nicht rosarot verpackt daher kommen. Denn an die Realität müssen (!) unsere Kinder herangeführt werden. Abgeschwächt, ja. Und nicht mit den schlimmsten Bildern vor Augen. Doch nur so werden sie zu mitfühlenden, verantwortungsbewussten jungen Menschen.

Kinder können mit dem "Ernst spielen". So tun als ob. Ein Feuerwerkskörper muss aber als das bezeichnet werden, was er ist: ein nicht ungefährliches "Ding", dass der Belustigung, dem gesellschaftlichen Vergnügen, der Schau, dem Ritual des "Geister-Vertreibens" u.v.a.m dient. Aber nicht dem Spieldrang. Er ist kein Spielzeug!

Ich wünsche mir verantwortungsbewusste Spielwarenhersteller und -händler, die "Spielzeug" nicht nur als Geschäft betrachten, sondern als Wegweiser in eine lebenswerte, friedliche Zukunft.

Utopische Grüße
Gead

Thygra
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Re: Feuerwerkskörper = Spielzeug?

Beitragvon Thygra » 5. Januar 2011, 15:54

> Es ist zwar schon so, dass man mit einer so genannten
> Spielzeug-Pistole niemanden ernsthaft verletzen kann und die
> (mitunter grausame) Realität damit "nur" nachgespielt wird.
> Aber, die Übergänge sind fließend: von der Pistole zu
> Fasching, zu Gotcha mit Farbpatronen, zum Luftgewehr im
> Schützenverein. Von Spiel zu Sport - zu Amoklauf. Das Eine
> muss nicht zwangsläufig das Andere ergeben - aber es kann!

Ich sehe es eher umgekehrt. Würde man Spielzeugpistolen verbieten, dann würde aus diesem Verbot heraus eine gewisse Faszination entstehen, die dazu führen KANN, dass sich jemand illegal eine echte Pistole organisiert, nur um mal damit rumzuhantieren. Das finde ich vergleichbar mit der Faszination, die sich aus dem Verbot von Zigaretten, Alkohol, Ballerspielen oder Autofahren für Kinder ergibt. Verbote machen solche Sachen noch interessanter!

Aber solange Spielzeugpistolen erlaubt sind, können wir diese "Faszination" bereits im Kindesalter befriedigen und haben die Phase dann hinter uns, wenn wir in ein Alter kommen, in dem ein Amoklauf denkbar wird.

Ich selbst habe als Kind auch Cowboyfilme gesehen und an Karneval mit Pistolen rumgeballert. Mit 11 oder 12 fand ich das dann nur noch albern und kindisch, das Thema war für mich ausgereizt. Vielen Klassenkameraden ging es ebenso. Und ich habe nicht das Gefühl, dass mir die damalige Ballerei irgendwie geschadet hätte - abgesehen vom Lärm, von dem ich nicht weiß, ob er meinem Trommelfell dauerhaft geschadet hat oder nicht.

Gruß,
André
André Zottmann (geb. Bronswijk)
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Gead
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Re: Feuerwerkskörper = Spielzeug?

Beitragvon Gead » 5. Januar 2011, 16:28

Ich bin auch nicht für pauschale Verbote. Und ich bemühe mich, in meiner Argumentation auch solches "Spielzeug" nicht für alles Unrecht in der Welt verantwortlich zu machen. Ein bloßes Verbot von (Spielzeug-)Pistolen im Kinderzimmer, von Alkohol, Zigaretten und dergleichen mehr, bringt nichts. Da bin ich einer Meinung mit dir!

Im Zusammenhang mit der "Spielzeug-Pistole" geht es mir um den Zusatz "Spielzeug", also ein reine Begrifflichkeit; im Zusammenhang mit Feuerwerkskörpern um den Ort, an dem diese verkauft werden. Das meinte ich mit dem "Subtilen" im vorigen Beitrag. Das Böse ist in der Welt. Und gehört untrennbar zum Leben dazu. Wobei man den Begriff des "Bösen" hier wertend und sogar diskriminierend gebrauchen kann (je nach politischer Gesinnung, religiöser Motivation, gesellschaftlicher Stellung oder kulturellem Umfeld). Oder einfach als eine Kraft, einen Widerstand, ein Gegengewicht. Das "Böse" kann auch schlicht (und etwas neutraler) mit "Gefahr" bezeichnet werden. Das Spielen mit Feuerwerkskörpern ist gefährlich; das Trinken von Alkohol in bestimmten Relationen und Konstellationen ebenso; Gleiches gilt für das Rauchen. Ein bisschen "böse zu sein" fügt sicherlich niemandem ernsthaften Schaden zu. Und "Ausprobieren" muss wahrscheinlich sogar sein!

Einem Trugschluss sollte man (zumindest) versuchen nicht aufzusitzen: von sich selbst auf andere zu schließen. Was mir nützt (oder nicht geschadet hat), kann dem anderen sehr Wohl Schaden zufügen!

Unschädliche Grüße
Gead

Thygra
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Re: Feuerwerkskörper = Spielzeug?

Beitragvon Thygra » 5. Januar 2011, 19:10

> Einem Trugschluss sollte man (zumindest) versuchen nicht
> aufzusitzen: von sich selbst auf andere zu schließen. Was mir
> nützt (oder nicht geschadet hat), kann dem anderen sehr Wohl
> Schaden zufügen!

Das ist mir völlig klar! Aber du wirst vermutlich auch kaum den Beweis erbringen können, dass das "Spielen" mit einer "Karnevalspistole" (gefällt dir der Begriff besser?) tatsächlich schon mal jemandem geschadet hat.

Im Prinzip ist das wie mit den ewigen Diskussionen, ob Ballerspiele Verursacher oder Auslöser für Amokläufe sein können. Nur weil ein Amokläufer zuvor Ballerspiele gespielt hat, weiß man noch lange nicht, ob er nicht auch ohne Ballerspiele zum Amokläufer geworden wäre.
André Zottmann (geb. Bronswijk)
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Re: Feuerwerkskörper = Spielzeug?

Beitragvon Gead » 5. Januar 2011, 21:58

Die Diskussion um Ballerspiele führt tatsächlich dann auf einen Irrweg - so lange man nach direkten Auswirkungen und dem einen Schuldigen sucht. Nun, ich bin kein Sozialwissenschaftler, aber ein "soziales Wesen" und Vater, und mein Bauch sagt mir, dass der Grund für einen Amoklauf von vielschichtiger Natur ist. Und eine lange Vorgeschichte hat.

Der wachsende und irgendwann übermäßige Konsum von Ballerspielen (wie von Computerspielen im Allgemeinen) ist m. E. auch ein Indikator für Einsamkeit bzw. zunehmende Vereinsamung.

Das an Schulen oder im Schulalter häufig anzutreffende Sozialverhalten, Gruppen zu bilden, sich von anderen - oder einzelnen - abzugrenzen, trägt mit zu dem Vereinsamungsprozess bei. Elterliche Gewalt. Falsche Freunde und Vorbilder.

Die Übersteigerung von Gewalt im Film, Verniedlichung derselben im frühen Computerspiel und Verharmlosung im späteren, vereinfachte und stereotype Darstellung in Büchern, Zeitschriften, in der Musik, in den neuen Medien; Instrumentierung von Gewalt zu politischen Zwecken (wie jüngst bei Stuttgart 21 geschehen); das Abstumpfen gegenüber Gewalt durch ungerechte Behandlung seitens der Staats- und Wirtschaftsmächte, der Kirche, usw.

Den Umständen ausgeliefert sein, Unrecht tatenlos mit ansehen zu müssen; niemanden zu haben, der einem jungen Menschen dabei hilft, Unrecht zu erkennnen, von Recht zu unterscheiden oder was auch immer.

Ja, all das trägt mit dazu bei, wenn ein junger Mensch verroht oder niemals feinfühlig (genug) wird. Der nur starke Reize wahrnimmt, der sich nur in markigen Worten (oder gar nicht) ausdrücken kann, der mit Gewalt "antwortet" - auf seine Umgebung.

Ein ernstes Problem, dem mit Schulterzucken allein nicht beizukommen ist. Und eben darum ein Thema, dem sich die Kulturschaffenden (noch) gewissenhafter widmen sollten. Totschweigen hilft da nicht sonderlich weiter. Und auch kein richterliches Urteil, wie das, welches diese Diskussion hier zumindest ausgelöst hat und von dem man in der Tat noch mehr die genauen Hintergründe erfahren müsste.

Da wir uns ja hier in einem Forum für Gesellschaftsspiele befinden, möchte ich abschließend den Fokus auch auf diese richten. Das Brettspiel vermag es weitaus besser (als andere Medien), schwierige Zusammenhänge (spielerisch) darzustellen. Durch das gemeinsame Erleben werden selbst gewalttätige Themen (wie z. B. Krieg) anders erlebt. Im Gegensatz zum herzlosen Computergegner ist das menschliche Gegenüber mit Leib, Herz und idealerweise Seele dabei. Und reagiert. Ist wütend. Freut sich (mit). Die ganze Klaviatur der Gefühle kann da zum Vorschein kommen (bzw. ausgebildet werden). Gerade dann wäre das Verbot von "kritischen Themen" als Umsetzung im Spiel eine wirklich verpasste Chance. Ein Gesellschaftsspiel ist mehr als die bloße Nachbildung wie eben die Spielzeug-Pistole (die nebenbei bemerkt besser mit "Karnevalspistole" benannt werden sollte ;-)); ein Gesellschaftsspiel ist oder kann genauso vielschichtig im positiven Sinne sein wie ein Amoklauf im negativen Sinne. Und damit ausgleichend wirken. Präventiv.

Jesper Juul, ein bekannter Familientherapeut aus Dänemark, sagt, dass für die Erziehung eines Kindes in etwa zehn Jahre Zeit ist - vom zweiten bis zum zwölften Lebensjahr. In diesen zehn Jahren werden die Weichen gestellt für die spätere Entwicklung; und eine Abweichung von einer negativen Entwicklung ist dann nur mehr äußerst schwer zu erreichen. Es sind also auch und gerade die "frühen" Spiele, die das spätere Mit- oder Nichtmitglied der Gesellschaft prägen. Und für eine positive Entwicklung können, sich ihrer Verantwortung bewusste Spielwarenhersteller, Spieleautoren, -redakteure und -verlage beitragen.

In diesem Sinne herzliche Grüße!
Gead aka Gerhard Junker


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